Green seven 7 - Die zwei Spitzen
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Aus der Hölle des gemolkenen Matterhorns ging es für uns dann an den streckenmäßig längsten Fahrrad-Abschnitt; von Zermatt einmal durch die Schweiz nach Liechtenstein zur Vorder Grauspitz. Zwar vom Franken und unserer niedrigen Kaufkraft noch nicht erlöst, erwartet uns dort doch eine erfrischende Ruhe in den Bergen, die die Schweiz, zumindest bei den ganz hohen Bergen, nicht bieten kann.
Der Weg ging über einige Pässe, darunter der malerische und anstrengende Furka-Pass, schließlich nach Liechtenstein, wo wir aus Gründen des Wetterfensters einen Restday nach Ankommen eingeplant hatten. Der Restday bestand schließlich aus Philipp, der mit Migräne aufwachte, einer kleinen Boulder-Session und 1000 Höhenmetern mit dem Fahrrad zum Ausgangspunkt der Wanderung auf die Grauspitz.
Die Boulderhalle zuvor war ein Glücksgriff; nicht nur haben wir alte Heidelberger Boulderer getroffen, die uns in der Werkstatt der Halle einen Platz für unser Gepäck organisierten, sondern auch nette Liechtensteiner, die eine Alm bei unserem Ausgangspunkt kannten und telefonisch abklärten, dass wir uns mit dem Zelt auf deren Wiese stellen dürfen. Liechtenstein ein Lichtblick – in Liechtenstein sind wir noch Städter, unseren städtischen Kategorien des „höchsten“ Gipfels. Der Weg zum höchsten Berg, der Vorder Grauspitz, ist zu großen Teilen weder markiert noch befestigt. Man kann sagen: ein erfrischendes Desinteresse an der Kategorie, die wir so hochhalten.
Wir haben endlich Gastfreundschaft erlebt, und das wo die Berge noch sind wie sie sein sollten: ohne Platz für pathetische, herausfordernde Emotionen, stattdessen als Rahmen der Welt. Sie umgeben mich, scheinbar unüberwindbar, und machen meinen Horizont einsichtig. Sie konzentrieren die gesamte Welt in ihre Täler, und ich will gar nicht darüber hinweg, aus der Geborgenheit heraus – man genießt Übersichtlichkeit.
Die Tour war trotzdem ein Genuss, ein einsamer Genuss. Der Weg war abwechslungsreich, aber nicht zu sketchy. Es ging erstmal über einen befestigten Wanderweg auf die Hintere Grauspitz, und dann auf vielen (und keinen) Wegen, von leicht bis etwas schwerer, auf den höheren Nebengipfel. Herunter ging es dann ein bisschen hektisch, weil ein Wetter-Zeitfenster an der Zugspitze uns dazu anspornte, einen Tag herauszufahren. Das heißt: drei Fahrradtage an zwei Tagen fahren, und einer davon der Gipfeltag in Liechtenstein. Um ca. 15 Uhr sind wir unten an der Boulderhalle, haben gegessen und alles wieder auf unsere Fahrräder umgepackt, und fahren noch 80 km über den Bodensee nach Deutschland rein. Wann sich die Dinge wirklich anstrengend anfühlen und wann nicht, werde ich nicht mehr so richtig verstehen. Der Tag, an dem wir um 3 Uhr aufgestanden sind, um 2000 Höhenmeter zu einem Gipfel zu machen, die dann wieder abzusteigen und um 19 Uhr noch die letzten Fahrradmeter zu machen, war auf jeden Fall überraschend in Ordnung. Vielleicht liegt das auch an dem wunderbaren Ausgang des Tages, an dem uns am Anfang des Allgäus ein Mann anspricht und direkt in den Garten einlädt, uns Ofen und Waschmaschine bereitstellt und wir mit einer kleinen Familie zu Abend essen. Vielleicht merkt ein Tag manchmal, wie rund er sich entwickelt.
Der nächste Tag, mein Geburtstag, war dann schon eine mühsame Fahrrad-Etappe zur Zugspitze durch meine geliebten Orte des Allgäus hindurch. Über Fahrradetappen zu schreiben ist schwierig, weil nicht so viel passiert. Es kann wunderbar und sehr nervig sein, und meine größte Freiheit in dieser Zeit sind meine Kopfhörer. Ich höre mich durch alles Mögliche und genieße es sehr. Fast lieber würde ich über diese Mannigfaltigkeiten schreiben, aber naja.
Wir kommen wieder gegen 17–18 Uhr nach über 100 km und 1500 hm an, und der Plan ist Aufbruch zur Tour um 4 Uhr nachts. Erst müssen wir dann noch ein paar Kilometer Fahrrad zum Ausgangspunkt der Tour fahren, um dann mit Ole und Lea von dort aus den sog. Stöpselzieher-Klettersteig zum Gipfel zu gehen. Zu der Tour gibt es nicht viel zu sagen: einfach, aber schön und nicht ganz so extrem viel begangen wie andere Touren auf die Zugspitze. Höchstens der Abstieg hat ein Wort verdient, aber erstmal ein paar Worte zur Zugspitze generell:
Der Berg ist erstaunlich, sowie vom Tal aus auch erstaunlich schön. Das Massiv steht sehr alleine und man versteht, warum Deutschland sich den gerne als höchsten Gipfel geschnappt hat. Was man nicht versteht, ist, wie Deutschland und Österreich es dann jedoch geschafft haben, diesen Berg so unglaublich zu verunstalten. Es ist nur noch Perversion, und es lässt mich an ganz Vielem zweifeln, nicht zuletzt daran, ob ich wirklich nicht das Problem bin. Die schönste Anekdote aus dieser fetisch-gewordenen Gipfel-Stadt ist, dass die Alpenhütte, die in der Mitte steht, seit 65 Jahren denselben Pächter hat, der die Hütte übernahm, als sie noch das einzige Bauwerk auf dem Gipfelplateau war. Langsam aber sicher wurde er umbaut – mit einem Restaurant auf deutscher Seite, einem auf österreichischer Seite, Seilbahnen wie ein Spinnennetz um den Berg, als wünschte man, die größte Fliege der Welt zu fangen. Die Fliege war der Pächter der ursprünglichen Hütte, der jetzt auf dem höchsten Punkt Deutschlands 360° Beton um sich herum hat.
Die zwei Berge in diesem Blog haben uns zwei ganz gegensätzliche Welten gezeigt, und von Liechtenstein ist ganz sicher mehr hängen geblieben. Das Beste an der Zugspitze war der Hüttenwirt unserer Hütte – ein offener, strenger und sowohl bewusst als auch unbewusst lustiger dicklicher Typ, der allen naiven KundInnen, die neben uns auf der Hütte waren (und davon gab es dann doch einige), auf ehrliche und direkte Art klarmachte, dass es vielleicht doch keine gute Idee ist, bei Gewitterrisiko in einen Klettersteig einzusteigen.
Noch zwei Berge, ein Blog kommt noch. Ich freue mich, bald wieder vom Alltag zu schreiben – ich vermisse Alltag und ich vermisse die Ideen und Gedanken, die ich dabei habe. Natürlich ist der Wechsel das Besondere, aber ich habe glaube ich in den letzten 3–4 Wochen geschafft, diesen einen Schritt zu gehen. Sätze darüber klingen so schnell recycelt, aber trotzdem: Man gibt dem Alltag wieder einen anderen Wert, es ist eine Re-Kalibrierung, die mir das Wertschätzen des Lebens für eine gewisse Zeit deutlich vereinfacht.
5/7