Henris Bahnsteigende

Green seven 6 – im Tief

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Beitragsbild: Green seven 6 – im Tief

Hallo ihr!
"Genug Pathos für die nächsten drei Wochen." Damit schloss ich den letzten Blogbeitrag über den Monte Bianco, den gedachten Schicksalsberg unseres Vorhabens. Und daran soll sich nicht nur mein Schreibstil halten, sondern wohl auch unsere "Mood"; wir haben ein Tief.

Die Fahrradetappen aus dem Mont-Blanc-Valley hinaus bis nach Zermatt hinein waren zwar wieder willkommene Abwechslung, aber bei 37 °C die Pässe mit den vollgepackten Fahrrädern zu fahren, grenzt dann doch schnell an Tortur. Nicht, dass wir uns nicht auch auf diese primitive Form der körperlichen Herausforderung gefreut haben, aber nach mittlerweile 13–15 Tagen pausenloser Hochbelastung sind es nicht unbedingt die Körper, die sich melden, sondern das Gemüt. Als wir heute Morgen (02:30) von der Monte-Rosa-Hütte zur Dufourspitze aufgebrochen sind, hatte einfach keiner von uns Bock.

Wir sprechen gerne von "Flow", einem Stadium, in dem die Aktivität einfach dahin fließt, und das gegenteilige Extrem haben alle von uns unabhängig voneinander fühlen können, wie sich irgendwann herausstellt. Ole, der solche Schwingungen tendenziell früher erkennt und stärker darauf reagiert, kam schon gar nicht erst mit auf die Tour. Er sagte, er frage sich ständig, warum er jetzt hier aufgestiegen sei, und fände partout keine Antwort darauf.

gletscher Monte rosa
Aufstieg über Gletscher

Anfangs ging es heute Morgen stumpf Höhenmeter hinauf. Wenn ich keinen Bock auf eine Tour habe, fange ich an zu hetzen. Hier führt Faulheit zu immenser Anstrengung, eine tückischere Faulheit: die Faulheit, Zeit mit etwas zu verbringen.
Auch geht man mit einigen anderen Seilschaften im Schlepptau die Tour los und hat ständig im Hinterkopf, bloß nicht hinter diese zu fallen, um dann an den etwas technischeren Stellen ewig anstehen zu müssen.

Nach etwa 1200 langen und mühsamen Höhenmetern erreichen wir den Gipfelgrat. Spätestens hier hätte es mir im Normalfall Spaß gemacht: ein anspruchsvoller, aber überschaubarer Grat auf 4500 m, den wir am laufenden Seil für unsere Verhältnisse recht souverän versichern.

Am Gipfel weicht dann kurz unsere heutige Verhaltenheit, obwohl wir alle das Gefühl haben, dass unser Zustand der Tour nicht ganz gerecht wird. Auch werden wir schnell daran erinnert, warum wir uns so gehetzt haben, weil sich von hinten immer mehr Menschen auf den Gipfelgrat drängen und Platz sowie Ruhe weniger werden.

Gipfel Monterosa
Ich am Gipfel

Der Abstieg beginnt mit einer Abseilpiste, das heißt mehrere Stangen, bei denen man sich von einer zur anderen abseilen kann, um zu vermeiden, den Gipfelgrat in die andere Richtung zurückgehen zu müssen, was zu gefährlichen Stand-offs führen kann. Die Abseilerei verlief eigentlich gut, auch wenn es bei so einem populären Berg mit so vielen Menschen immer hektisch ist.

Abseilen ist tückisch: Es ist nicht kompliziert, aber der Einsatz ist so hoch, und deshalb führen kleinste Fehler schon zu sehr brenzligen Situationen. Wenn Kletterer an technischen Fehlern sterben, dann hat es meistens mit Abseilen zu tun.

Als ich in einer dieser Stangen in der Wand hing und ich mit meinem verletzten Daumen Probleme hatte, das Seil in mein Abseilgerät zu drücken, löste sich meine Sicherung unbemerkt aus dem Abseil-Karabiner. Ich merkte zwar, dass etwas nicht stimmte, und übertrug meine Last nur sehr vorsichtig, aber ohne einen Kommentar von Nino weiß ich nicht, ob ich früh genug verstanden hätte, was los ist. Es klingt dramatischer, als es wahrscheinlich ist, weil man Dinge merkt und checkt und wahrscheinlich viel mehr passieren muss, bis es dann wirklich zum Sturz kommt – aber vielleicht auch nicht. Es ist ein schon gut beschriebenes, aber immer wieder lähmendes Gefühl: Was wäre wenn, was hätte passieren können.

Und es sind wahrscheinlich diese Momente: müde, technische, aber nicht wirklich anspruchsvolle Stelle, im Abstieg – es kommt viel zusammen, bei dem einem als Bergsteiger:in viele Alarmglocken angehen, und ich kann eine hinzufügen.

Als das geschafft war, trennte uns nur noch ein wenig Gletscher-Gelatsche von dem Liter Wasser für 9 Franken.

Wer nach dem letzten Blogeintrag nicht des Pathos’ satt ist, wer meint, er könne sich nichts Besseres vorstellen, als noch mehr klumpiges, schweres und nicht wenig unangenehmes Bergpalaber anzuhören, dem sei der Instagram-Kanal von Reinhold Messner zu empfehlen. Insbesondere die epischen und ein bisschen peinlichen Schwarz-Weiß-High-Contrast-Bilder haben ganz vorzügliche Beschreibungen. Und wenn es da nur wieder darum geht, dass in den "Furchen (Messners Gesichts) mehr Wahrheit liegt als in jedem Gipfelkreuz", oder irgendeine Umschreibung der Selbstfindung in den Bergen – auf der Tour zur Dufourspitze musste ich anderes suchen, bevor ich bei mir anfangen konnte.

furka los
Wir fahren auf einen Pass der im folgenden weggehauen wurde.

Ich hänge mit meinen Blogs hinterher, weil die Wetterfenster so tight waren und wir auf Kosten unserer Tage in unserer Zeitplanung alles ein bisschen früher schieben mussten. Die letzten Tage waren nur stundenlang Fahrrad fahren, auf Berge stratzen und in allen Pausen, die man hat, essen und Zelt auf- und wieder abbauen. Ich hoffe, dass ich in nächster Zeit ein bisschen mehr Zeit habe, wieder auf aktuellen Stand zu kommen.

Ich hab große Freude, hier immer ein paar Sätze zu schreiben, auch wenn ich den größten Teil vergesse. Nächstes Mal dann zur Grauspitz und Zugspitze, zwei gegensätzlichen Welten.

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