Green seven 5 - Mont Blanc
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Der Mont Blanc. Wo fange ich an? Es ist fast absurd, wie sehr uns der höchste Berg des Projekts beschäftigt hat – immer im Hinterkopf, dass das Projekt durch ihn eine deutlichere Kontur bekommt, aber auch immer auf ihm auf der Kippe steht. Und jetzt, um halb fünf nachmittags, siebeneinhalb Stunden bevor wir frühstücken, um den Aufstieg zu probieren, kann ich auch sagen, dass wir eine Menge Glück hatten. Jetzt müssen wir nur noch etwas daraus machen.
Die Diskussion um den Mont Blanc ist so alt wie das Projekt selbst; schon bei der Fahrradtour in Holland um diese Zeit letztes Jahr, auf der die Idee des Projekts entstanden ist, fing es an zu rattern. Den Mont Blanc einfach als den höchsten Gipfel der Alpen zu bezeichnen, wird ihm nicht gerecht – er ist ein Massiv, das seinesgleichen sucht, eingeschlossen in eine Gletscherwelt, die in dieser Form seit 30 Jahren fluchtartig die Alpen verlässt. Es gibt also einige Gründe, den Mont Blanc besteigen zu wollen, und wenn man sich nur einen aus der Liste aussucht und kein begnadeter Ausnahmealpinist ist, so kommen vielleicht dreieinhalb Wege in Frage. Insbesondere wird man schnell mit der Gouter-Route konfrontiert, der objektiv leichtesten Tour auf den Mont Blanc. Man wird jedoch auch nicht lange weiterlesen müssen, um vom Grand Couloir zu hören – einer riesigen Scharte, deren Durchquerung für den Aufstieg zur Gouter-Hütte, dem Ausgangspunkt der Route, obligatorisch ist. Durch den Klimawandel und die Topographie dieses Couloirs ist die Querung ein Roulettespiel geworden, und je nach Bedingungen fliegen sekündlich Steine diese 100 m breite Scharte entlang. Sogar Bergführer gehen den Weg teils nicht mehr mit ihren Kund:innen, obwohl der Weg ab der Gouter-Hütte keine wirklichen technischen Schwierigkeiten aufweist. All das hat uns dazu verleitet, von der Gouter-Route kategorisch abzusehen – deren Gesetztheit zwar noch ab und zu zur Debatte stand, last but not least jedoch auch gehalten hat.
Dies hieß jedoch auch, im Zuge des Projekts, Alternativen zu suchen. Wie kommen wir auf diesen Berg hoch, der uns mit konsekutivem Steinschlag seine freundlichste Seite nimmt?
Unsere erste Alternativwahl fiel auf den sogenannten Papst-Weg, eine nicht allzu technische Route von der Gonella-Hütte auf italienischer Seite. Hier zeigte sich jedoch schon relativ früh, dass wir mit August zu spät kommen und die Hütte aufgrund immer früher immer schlechter werdender Gletscherkonditionen schon zu haben wird. Der so zerklüftete Gletscher, der die Gonella-Hütte umgibt, ist wirklich gut nur mit einer Menge an Schnee zu begehen, und damit ist im August nicht mehr zu rechnen. Eine weitere kurz besprochene Alternative war die Besteigung über die Grand-Mulets-Hütte – ein relativ direkter Weg, der häufig für Speed-Rekorde genutzt wird. Die Hütte, die vor allem von Skifahrer:innen im Winter frequentiert wird, macht schon im Juni zu; die Besteigung über den „Winter“-Raum ist oft trotzdem noch gut möglich. Für eine solche Aktion bei unbekannter Gletscherlage fehlte uns jedoch auch die Ortskenntnis. Im Nachhinein eine vielleicht zu schnell aussortierte Möglichkeit.
Schließlich fiel das Augenmerk auf die Cosmique-Hütte, in der ich jetzt liege. Vor 80 Jahren war hier noch ein Laboratorium drin, mit dessen Hilfe komische Strahlen analysiert wurden, durch die Höhe verhältnismäßig wenig gestört. Mittlerweile ist solch eine Forschung größtenteils durch Satelliten ganz aus der Atmosphäre ausgekoppelt, sodass die Wissenschaft stattdessen den Bergsteiger:innen einen Platz hinterließ, nach den Sternen zu greifen. (Es tut mir leid – es ist so schwierig und gar unmöglich, bei einem Thema wie dem Mont Blanc, dem zu Stein und Fels gewordenen Pathos, nicht pathetisch zu werden. Alles, was wir tun, trieft von moderner Spiritualität; anders kann man den ganzen Unfug nicht erklären, und dementsprechend ehrlich muss ich auch den Stil anpassen.)
Die Cosmique-Route wird es also morgen. Nur die Routenwahl zu beschreiben, wird dem Hin und Her nicht gerecht, das wir jetzt schon mit dem Berg hatten; nach einem rekordwarmen Juni waren die Gletscher so stark brüchig und die Schneebrücken über die Spalten so spärlich, dass von einer Besteigung nicht die Rede sein konnte. Als uns dort langsam die Hoffnung verließ, kam Mitte Juli so viel kalter Niederschlag, wie es nur selten im Juli vorkommt, und auf einmal war die Tür wieder einen Spalt weit offen. Zuletzt, gestern und vorgestern, schien sich dieser Spalt wieder zu schließen, weil unser Fenster näherkam, aber immer noch zu viel Schnee in den Flanken lag. Unsere Hoffnung wurde uns zum Verhängnis: keine Spur, Lawinengefahr, insgesamt nicht möglich für uns. Einen Abend lang überlegten wir hin und her, was vielleicht noch möglich ist, ob wir einfach doch die französische Route gehen (unter anderem: Ich bin da gegenüber meinen Prinzipien ein bisschen schwach geworden) oder ob es irgendwelche Alternativen gibt, die sich doch noch in einer Ecke des Internets finden. Es war vorgestern Mittag, als wir schon mit allem abgeschlossen hatten, dass Niklas einen Beitrag aus einem Bergführer-Forum vorlas, in dem beschrieben wurde, dass Menschen und eine Spur auf der Route gesichtet wurden und die Bedingungen gut zu sein scheinen. Der Spalt in der Tür ist größer denn je, und ich bin bereit, höflich einzutreten. Mal schauen, was wird. Noch vier Stunden, dann ist 0 Uhr, dann gibt es Frühstück.
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Da bin ich wieder, wir machen einen Zeitsprung. Ich liege knapp vor Zermatt in meinem Zelt, morgen geht es auf die Monte-Rosa-Hütte, und ich lasse mal den 08.08. Revue passieren: Der Anfang der Tour war wie erwartet kein größeres Problem; nach einem Frühstück zu etwas ungewohnter Uhrzeit ging es erstmal die ca. 600 hm hohe Flanke des Mont Blanc de Tacul hinauf.
Über einige Spalten und durch Gletscherbrüche hindurch erreichten wir nach ungefähr dreieinhalb Stunden als Erste an diesem Tag die ausgeschriebene Schlüsselstelle der Tour: eine Eis-Passage, die direkt in einen aperen (man kann sagen ein Zwischending zwischen Glatteis und Schnee) Steilhang führte, auf dem, wie es sich herausstellte, der Weg angepasst werden musste und lange Zeit bei 50°–55° Hangneigung verlief. Hier wurde alles ein bisschen chaotischer: Nino und Philipp, die zusammen in einer Zweierseilschaft vorausgingen, waren schon über die besagte Schlüsselstelle hinweg und fanden sich jetzt in diesem steiler als erwarteten Steilhang wieder, als Ole, der mit mir und Niklas in einer Dreierseilschaft hing, knapp nach der Schlüsselstelle und mit guter Sicht auf das kommende Terrain entschied, erstmal nicht weiterzugehen. Und Oles Bedenken waren von ganz fundamentaler Richtigkeit: Eine Sicherung zu legen ist bei dem Boden super schwierig – Eisschrauben halten nicht, es ist kein Fels da, um den du etwas legen kannst, kein Schnee, in den du verlässlich etwas stecken kannst, und zeitgleich rieselt noch das Eis von den beiden schon über uns auf Ole hinab. Als Ole wieder unten war und mit Niklas endgültig entschlossen war, von hier nicht weiter hochzugehen, stand ich vor einem Dilemma: Ich fühlte mich noch wohl, die Steilheit war beängstigend, aber ich hatte Bock, weiterzugehen. Das Problem war, dass meine Leute hinter der Stelle, nicht in Sichtweite, die Flucht nach vorne ergriffen hatten, und ich nicht wirklich Zeit verlieren durfte, um sie noch einzuholen. Ich entschied mich, mich kurzerhand aus meiner Seilschaft auszuklinken und das Eis solo hochzupickeln, um die beiden einzuholen.
Hier sei gesagt, dass diese Situation im Nachhinein viel mit mir gemacht hat. Bergsteigen, und insbesondere solche idealistischen Projekte, sind ein schrecklich schöner Fanatismus, und es ist viel emotionale Arbeit nötig, das zu reflektieren und in den richtigen Momenten auf die richtigen Dinge Wert zu setzen. Ich habe keine wirklichen Fehler gemacht, ich wusste dort schon, was ich tue, ich habe damit niemanden außer mich in Gefahr gebracht, aber ich weiß auch, dass Ole anders reagiert hätte, wären die Rollen vertauscht gewesen. Es war kein empathischer Akt, es war purer Egoismus, und – um es viel zu dramatisch zu sagen – fehlte sogar der Respekt vor mir selbst in dieser Entscheidung. Trotzdem bin ich froh, weitergegangen zu sein.
Die Steilflanke zog sich noch über 100 hm, mit den steilsten Stellen erst kurz vor dem Ausstieg, sodass die weitere Besteigung davon dominiert war, daran zu denken, irgendwann nochmal darunter zu müssen. Das Runtergehen ist tendenziell immer komplizierter als das Hochgehen, und es war undurchsichtig, wie wir die Stelle versichern sollten. Aber – wie es schon durchscheint – standen wir kurz nach Sonnenaufgang auf dem Gipfel des Mont Blancs! Es ist schrecklich schön, weil es dann doch so schön ist, dort zu stehen – nach allem Hin und Her, nach allem Diskutieren, Trainieren, Abwägen und Entscheiden, dort zu stehen, lässt einen vergessen.
Der Rückweg ging dann doch ganz gut, wir hatten genug Zeit, haben ein paar Stellen mit in den Schnee gesteckten Eispickeln gesichert und die Schlüsselstelle abgeseilt.
Mein Daumen und der Mont Blanc haben beide sehr fleißig versucht, das Projekt in seinem Erfolg zu gefährden – aber noch laufen, fahren und klettern wir. Genug Pathos für die nächsten drei Wochen. 2/7